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Ein Weihnachts-Impuls der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau

Gewehre unterm Christbaum







Foto: Winternitz (pixelio)















































































































Foto: Brigitte Niedermeier (pixelio)

Unsere Besten - hier ist die Hitparade der Weihnachtslieder

Kein Weihnachtsmarkt kommt ohne sie aus, im Kaufhaus quellen sie aus allen Ritzen, bei der Adventsfeier des Sportvereins und beim Krippenspiel gehören sie zum Pflichtprogramm. Im TV-Weihnachtsfilm dudeln sie Atmosphäre herbei. Und mancher geplagte Zuhörer stöhnt: „Ich kann´s nicht mehr hören.“ Aber das ist ein Irrtum. In Wahrheit können wir rund um den Heiligen Abend nicht genug von ihnen kriegen. Hier ist die Hitparade der Weihnachtslieder.

10. „Leise rieselt der Schnee“

So lautet das Erfolgsrezept eines gutbürgerlich-deutschen Weihnachtsliedes, mit dem sich vor etwas über 100 Jahren ein gewisser Eduard Ebel (1839–1905) zeitlos bleibenden Ruhm erschrieb: Man nehme ganz wenige Töne (in Ebels Fall reichten 26) und verknüpfe sie zu einer Melodie, die sich schon ein Vierjähriger schnell merken kann. Man harmonisiere sie in herzzerreißender Terzenseligkeit mit einer fein dosierten Prise Dramatik. Sodann versetze man ihr den sanften Rhythmus eines Hirtenliedes („Siciliano“) und unterlege sie mit einem Text, der nur vage religiöse Bezüge hat (und damit niemanden verschreckt), stattdessen aber die Ursehnsucht nach der „weißen Weihnacht“ in freier Natur und die heimelige Vorfreude aufs Fest kultiviert: „Still und starr ruht der See / weihnachtlich glänzet der Wald: / Freue dich, Christkind kommt bald!“ Servieren sollte man bevorzugt mit Knabenchor und Streichern, es taugen aber auch weit mensurierte Blechbläser.

9. „Ich steh an deiner Krippen hier“

Kaum zu glauben, unter welchen Umständen Paul Gerhardt (1607–1676) seine Lieder schrieb. Deutschland lag nach einem 30 Jahre währenden Krieg in jeder Hinsicht danieder. Inmitten von Hunger, Elend und Tod spendeten seine Lieder Trost und Zuversicht – zum Beispiel in der Erkenntnis, Gott auch in dunkler Zeit nahe zu sein: „Ich lag in tiefster Todesnacht / du warest meine Sonne.“ Freilich, in der ursprünglichen Version auf die Melodie „Es ist gewisslich an der Zeit“ wäre das Lied wohl halbwegs bekannt, aber nicht wirklich populär geworden. Zum Hochadel der Weihnachtslieder stieg Gerhardts Text erst im 19. Jahrhundert mit einer anderen Melodie auf, die als Schöpfung Johann Sebastian Bachs (1685–1750) höchstselbst gilt. Was ein Irrtum sein könnte: Denn in dem Gesangbuch, das Kantor Georg Christian Schemelli aus Zeitz im Jahr 1736 mitsamt der neuen Weise veröffentlichte, heißt es lediglich, die Melodien seien „von Sr. Hochedlen Herrn Johann Sebastian Bach theils ganz neu componieret, theils auch von ihm im Generalbass verbessert“ worden. Man kann aber nur in zwei Fällen nachweisen, dass Bach die Melodie wirklich selber geschrieben hat. „Ich steh an deiner Krippen hier“ gehört nicht zu ihnen. Wenn im sechsten Teil des bachschen Weihnachtsoratoriums der Choral erklingt, erlebt mancher Zuhörer einen kleinen Kulturschock: Denn Bach verwendete dabei die alte Melodie.

8. „Tochter Zion, freue dich“

Von dem Philosophen Isaiah Berlin (oder dem Theologen Karl Barth) soll das Bonmot stammen, dass die Engel vor Gott Bach spielen, untereinander aber Mozart. Wie auch immer, an Advent und Weihnachten spielen sie wahrscheinlich Händel. Allerdings erst seit 1826, denn erst in diesem Jahr wurde ein Chorsatz aus „Judas Maccabaeus“, den der Meister bei sich selber, nämlich aus dem Oratorium „Josua“, geklaut hatte, zum Adventslied, und zwar durch den damaligen Dorfpfarrer von Rückersdorf bei Nürnberg, Friedrich Heinrich Ranke. Beethoven hatte seine Cellovariationen über die gleiche Melodie noch in Gedanken an den Judas-Maccabaeus-Text „Seht! Er kommt, mit Preis gekrönt“ geschrieben, der den Hymnus im nachnapoleonischen Deutschland auch als Jubelruf bei vaterländischen Feiern berühmt machte. Mit Rankes neuem Text „Tochter Zion, freue dich / Jauchze laut, Jerusalem“ (der im Dritten Reich natürlich verpönt war) drang das Lied endgültig auch in die bürgerlichen Wohnstuben vor. Wie konstituierend es für das Weihnachtsfest des deutschen Bürgertums war, kann man in Thomas Manns Roman „Buddenbrooks“ nachlesen, in dem ein Kinderchor bei Konsulin Buddenbrook für die richtige Feststimmung sorgt: „‚Tochter Zion, freue dich!‘ sangen die Chorknaben, und sie, die eben noch draußen so hörbar Allotria getrieben, dass der Senator sich einen Augenblick an die Tür hätte stellen müssen, um ihnen Respekt einzuflößen – sie sangen nun ganz wunderschön.“ Was die Engel nicht wissen sollten, ist der befremdliche Umstand, dass Händels Hymnus auch als Begrüßungsmarsch sauerländischer Schützenfeste dient.

7. „O Tannenbaum“

Der Christbaum taucht um das Jahr 1600 in Straßburg in der deutschen Weihnachtswelt auf. 250 Jahre später war er schon so untrennbar mit dem Fest verbunden, dass sich zum Beispiel Victor von Scheffel eine baumlose Bescherung gar nicht mehr vorstellen konnte und die Helden seines Romans „Ekkehard“ denn auch unterm geschmückten Lichterbaum sitzen lässt – obwohl die Geschichte schon im 10. Jahrhundert spielt. Die berühmteste aller musikalischen Verbeugungen vor dem Weihnachtsbaum hat eine verschlungene, ja geradezu verwirrende Geschichte. Den Text setzte 1819 August Zarnack in die Welt – allerdings als Liebeslied, in dem der Tannenbaum als Sinnbild für Treue und Beständigkeit dient. Die Idee hierzu hatte Zarnack beim schlesischen Volkslied „Ach Tannenbaum“ geklaut. Die Verweihnachtlichung besorgte dann fünf Jahre später der Leipziger Lehrer Ernst Anschütz mit den Strophen zwei und drei. Die Ursprünge der Melodie verlieren sich im Nirwana der Geschichte – mal kommt sie als Volkslied, mal als Studentengesang daher. Amerikanische Dixie-Bands spielen sie unter dem Titel „Maryland, My Maryland“, sie existiert als Arbeiterlied und als Hymne der Nankai-Universität im chinesischen Tianjin und Sie dürfen raten, zu welcher Melodie die Anhänger des FC Chelsea ihren Jubelgesang „We´ll keep the Blue Flag Flyin´ High“ grölen. Da wundert man sich kaum noch, dass man nach dem Ersten Weltkrieg auch dem nach Holland emigrierten Kaiser Wilhelm in Berlin nachsang: „O Tannenbaum, o Tannenbaum / Der Kaiser hat in´ Sack gehauen / Er selber muss jetzt hamstern gehn / Und seine Frau Granaten drehn!“

6. „White Christmas“

Der erfolgreichste Schlager aller Zeiten ist weder von Bing Crosby noch von Frank Sinatra und auch kein uraltes amerikanisches Traditionsgut. Es ist – neben „Stille Nacht“ – das einzige der besonders populären Weihnachtslieder, dessen Entstehung fast auf die Stunde genau taxiert werden kann: Die erste Niederschrift erfolgte am Montag, 8. Januar 1940, vormittags, in einem Büro der Irving Berlin Music Company in Manhattan. Autor war der schon damals berühmte Schlagerkomponist Irving Berlin, der von seinem Song nicht gerade bescheiden sagte, er sei überhaupt der Beste, „der jemals von jemandem geschrieben wurde“. Was die Verkaufszahlen angeht, hat er damit auf jeden Fall recht: Sie liegen bei über 125 Millionen Schallplatten in allen möglichen Sprachen, darunter Niederländisch, Suaheli und Jiddisch. Das Lied war ursprünglich als Parodie gedacht: Ein schmachtender Träumer sitzt am Heiligabend in Beverly Hills und sehnt sich nach einer neuenglischen Winterlandschaft aus dem Bilderbuch. So erklärt es jedenfalls ein ursprünglich dazukomponiertes Intro, das später auf der Strecke blieb. „White Christmas“ ist die Mutter aller Schlagerschnulzen und hat gerade deshalb einen Ehrenplatz im kollektiven Weihnachtsbewusstsein. Das Lied ist der Beweis, schreibt der amerikanische Journalist Jody Rosen, „dass Kunst und Schund ein und dasselbe sein können“.

5. „Ihr Kinderlein, kommet“

Das sind die beiden führenden Weihnachtsklischees: tief verschneite Winterlandschaft und glänzende Kinderaugen vorm Lichterbaum. Weihnachten ist ein Kinderfest, nicht zuletzt in dem Sinne, dass es Erwachsene wieder zu Kindern auf Zeit macht. Wie viele Heiligabende enden nicht im gemeinschaftlichen Playmobil-Spiel? Das Weihnachtskinderlied par excellence, „Ihr Kinderlein, kommet, o kommet doch all, / zur Krippe her kommet, in Betlehems Stall“ schuf der aus Dinkelsbühl stammende katholische Pfarrer und Pädagoge Christoph von Schmid zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in einer Zeit, in der die aufgeklärten Obrigkeiten am liebsten alle Weihnachtskrippen aus den Kirchen geworfen hätten. Schmid, selbst von aufklärerischer Moral beseelt, reimte sich mit seinen Zeilen ins Herz des Biedermeiers. Die Melodie stammt von dem dänischen Hofkapellmeister Johann Abraham Schulz und war eigentlich für das Frühlingsgedicht „Wie reizend, wie wonnig, ist alles umher“ gedacht. Für den Krippenappell von Pfarrer Schmid hat es der Lehrer Friedrich Eickhoff gekapert, weil es zufällig silbengenau dazu passte und Eickhoff der Meinung war, das Gedicht müsse gesungen werden. Und weil ein Zufall selten allein kommt, war Eickhoff auch noch der Schwiegersohn eines Verlegers namens Carl Bertelsmann, der sich gerade mit dem Gedanken trug, „60 Lieder für 30 Pfennig“ in großer Auflage herauszubringen. „Ihr Kinderlein, kommet“ wurde eines davon. Der Rest ist Geschichte.

4. „Es ist ein Ros entsprungen“

Die schönste aller Weihnachtslieder-Legenden spielt wahlweise im Benediktinerkloster Corvey (Hauptperson: ein Mönch namens Bernhardus) oder in einem Moselkloster in der Trierer Gegend (Hauptperson: ein Mönch namens Laurentius). Der Mönch soll an einem eisigen Weihnachtsabend im Klostergarten eine voll erblühte Rose entdeckt haben und hiervon zu einem 23-strophigen Lied inspiriert worden sein. Dahinter steckt ein uralter Wunderglaube: In der Heiligen Nacht blühen die Blumen und sprechen die Tiere! Wie alt Text und Melodie wirklich sind, lässt sich nicht genau sagen: Aufgeschrieben worden sind beide jedenfalls erstmals gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Das Lied greift Bibelverse aus Jesaja 11,1 und Römer 15,12 auf, in denen von einem „Reis“ (Schössling) aus dem Stamme Isais und von der „Wurzel Jesse“ (gemeint ist Isai, der Vater Davids) die Rede ist. Die Rose ist Maria, das Blümelein ist Jesus. Populär wurde das Lied vor allem durch den vierstimmigen Satz von Michael Praetorius (1571–1621), der die letzte Zeile „bleibend´ eine reine Magd“ für Protestanten kompatibel machte in „wohl zu der halben Nacht“.

3. „O du fröhliche“

Das Bild: Italienische Fischer verlassen mit ihren Booten den Hafen und fahren aufs Meer hinaus. Sie singen dazu. – Die Musik: nicht etwa „Capri-Fischer“, sondern „O du fröhliche“. (Natürlich nicht auf Deutsch). Auch in der protestantischen Feiertagshymne Nummer eins steckt also eine kulturgeschichtliche Kuriosität. Als nämlich 1816 Johannes Daniel Falk in seinem Weimarer Waisenhaus den Text dazu schrieb – genauer gesagt die erste Strophe, denn die beiden weiteren stammen von seinem Mitarbeiter Heinrich Holzschuher –, gab er einer alten südeuropäischen Volksweise eine neue, weihnachtlich-deutsche Wendung. Vermutlich hatte sie Johann Gottfried Herder von einer Italienreise als „sizilianisches Fischerlied“ mitgebracht, möglicherweise hatte sie Falk aber auch von italienischen Straßensängern in Weimar aufgeschnappt. Eine andere Wurzel der Melodie liegt in einem Marienlied: „O sanctissima / o piissima / dulcis virgo Maria“. Mit diesem Text wird sie vor allem in Frankreich gesungen.

2. „Jingle Bells“

Ein Weihnachtsmarkt ohne „Jingle Bells“, das ist wie Silvester ohne Feuerwerk. In keinem Lied verdichten sich die Tendenzen zur schleichenden Entchristlichung des Weihnachtsfestes so sehr wie in diesem: Der amerikanische Komponist James Lord Pierpont hatte es 1857 unter dem Titel „One-Horse Open Sleigh“ publiziert. Er beschrieb darin ein Pferdeschlittenrennen von Jugendlichen, bei dem die Glöckchen klingen. Das Lied hat mit Weihnachten überhaupt nichts zu tun, trotzdem funktionieren die Assoziationsbrücken: von Schnee, Schlitten und Glöckchen zum Weihnachtsmann, der mit lautem „Ho! Ho! Ho!“ seine Rentiere durch die Lüfte galoppieren lässt. „Jingle Bells“ war 1965 das erste Lied, das im Weltraum musiziert wurde (mit Mundharmonika und Schellenband an Bord der Raumkapsel Gemini 6), und existiert auch auf Schwyzerdütsch. Dort heißt es „Zimetstern han i gärn“.

1. „Stille Nacht, heilige Nacht“

Wenn die Bibel das Buch der Bücher ist, so ist „Stille Nacht, heilige Nacht“ das Lied der Lieder. Man kann es in Gälisch, Korsisch, Zulu, Xhosa oder Nordfriesisch singen. Insgesamt soll es das Lied in etwa 380 Textversionen geben. Reger, Penderecki, Honegger und andere haben es bearbeitet. Es ist ein Lied mit eigener Forschungsgesellschaft, Museen, Denkmälern und Publikationen. Die vermeintlich volkstümlichste aller Weihnachtsweisen ist in Wirklichkeit ein Kunstlied: uraufgeführt am 24. Dezember 1818 in der Christmette in Oberndorf bei Salzburg, von Tiroler Volksmusikanten bekannt gemacht, vom Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. eifrig gefördert und schließlich zur Legende seiner selbst geworden. Bei „Stille Nacht“ gehen die Lichter in der Kirche aus und die Herzen auf.

Von Thomas Greif

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Gewehre unterm Christbaum

Das seltsamste Weihnachtslied: Morgen kommt der Weihnachtsmann

In der Kulturgeschichte der Missverständnisse, die sich um den deutschen Weihnachtsliederkanon ranken, nimmt das Lied „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ einen Ehrenplatz ein. Die Melodie – harmonisch übrigens eine Zwillingsschwester von „Alle Vöglein sind schon da“ – entspricht dem frivolen französischen Salonlied „Ah, vous dirai-je, Maman!“, das unter anderem der Bach-Sohn Johann Christoph Friedrich und Wolfgang Amadeus Mozart zu Variationen verarbeitet haben. Noch weiter weg von Weihnachten ist der Text von Heinrich Hoffmann von Fallersleben. Der Dichter des Deutschlandliedes ersparte sich nicht nur jegliche christliche Weihnachtsbezüge, sondern verzichtete auch auf die Ersatzidylle einer still verschneiten Winterlandschaft, die man immerhin noch als Chiffre für die Botschaft von Frieden und Versöhnung lesen konnte. Stattdessen heißt es: „Trommel, Pfeifen und Gewehr / Fahn´ und Säbel und noch mehr / ja, ein ganzes Kriegesheer / möcht´ ich gerne haben.“ Heute ist das Lied in einer entschärften Version verbreitet, die stattdessen „bunte Lichter, Silberzier / Kind mit Krippe, Schaf und Stier“ herbeiwünscht. Hoffmanns Text sagt mehr über die Gesinnung des Autors und seiner Zeit aus als über die Weihnachtsbotschaft. Im patriarchalischen deutschen Vormärz taugte der Weihnachtsmann als bessere Identifikationsfigur als das zarte Christkind. Und unterm vaterländischen Weihnachtsbaum, die napoleonischen Kriege noch frisch im Gedächtnis, war Kriegsspielzeug nichts Abwegiges. Jede Zeit hat ihren eigenen schlechten Geschmack. – Loriots Familie Hoppenstedt mit dem Atomkraftwerk im Heimbausatz lässt grüßen.

Von Thomas Greif

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